Alte Narben behandeln
– Folge von Unfällen, Verletzungen und Operationen
– Beschränkung in unserer Bewegungsfreiheit
Wir blenden unsere alten Narben aus: Blinddarm, Galle, Kaiserschnitt ganz gleich was der Anlass war. Und wir sind dabei sehr erfolgreich. Dabei bemerken wir gar nicht, wie stark wir uns um diese blinden Flecken in unserem Körper herumbewegen. Erst wenn wir Knieprobleme bekommen, unsere Schulter schmerzt oder unser Nacken steif wird, erst dann fallen uns diese weißen Flecken auf der Landkarte auf. Lesen Sie hier welche Auswirkungen Narben auf unsere Bewegung haben und welche Möglichkeiten es gibt alte Narben zu behandeln.
Ihr Experiment zur eigenen Wahrnehmung
Machen Sie doch einmal selbst das Experiment. Gehen Sie auf und ab und legen Sie eine Hand über Ihre rechte Leiste unter Ihren rechten Rippenbogen. Dann ziehen Sie sich unter der Hand ein wenig zusammen. D.h. Sie spannen etwas Ihre rechte Bauchmuskulatur an. Zudem versuchen Sie Bewegungen unter Ihrer Hand zu vermeiden. Dadurch reduzieren Sie sehr gezielt die Beweglichkeit Ihres Körpers, eine Bewegungsbereitschaft, die sie eigentlich auch zum Gehen brauchen.
Erspüren Sie die Auswirkung ihrer vorgestellten Narbe
Seien Sie nun aufmerksam, wenn sich auf und ab gehen. Spüren Sie, wie Sie mit der reduzierten Beweglichkeit umgehen. Wahrscheinlich stellen Sie ganz ungewöhnliche Verspannungen irgendwo in Ihrem Körper feststellen. Denn Ihr Körper versucht nun, sich auch an anderer Stelle anzupassen. Achten Sie doch mal auf Ihre Schrittlänge, mögliche Verspannungen in den Fußzehen oder sogar im Kiefergelenk. So oder so, es ist Ihre ganz persönliche Reaktion auf eine Einschränkung, jeder Mensch reagiert hier anders.
Narben in der Vorstellung behandeln
Sie können Ihre vorgestellte Narbe behandeln, indem Sie die Wärme Ihrer eigenen Hand spüren. Nehmen die Sicherheit Ihrer eigenen Hand wahr. Öffnen Sie sich unter Ihrer Hand. Schütteln Sie die Verspannungen im restlichen Körper ab. Bewegen Sie sich durch den vorgestellten Narbenbereich hindurch. Bewegen Sie sich vollständig, wenn sie gehen. Sind Ihre Fußzehen wieder lang? Ist Ihr Kiefergelenk entspannt? Wie ist Ihre Atmung? Ahnen Sie, dass das Behandeln von Narben viele Aspekte hat? Doch gleich erst einmal ein reales Beispiel.
Ein Blick auf eine unbehandelte alte Narbe

Die obige Narbe ist vollständig abgeheilt. Gut – sehen Sie aber dennoch die veränderte Spannungen unterhalb und oberhalb der Narbe? Diese Spannung liegt sowohl in der Haut als auch im tiefen Gewebe. Das ungeübte Auge sieht wohl als Erstes die unterschiedlichen Hautfärbungen. Dann die tief reichenden Muskelanspannungen. Und eine geübte Hand ahnt flächige, schmerzhafte Festigkeit in unterschiedlichen Tiefen. Die Narbe „strahlt“ sichtbar eine Handbreit nach oben und nach unten ab. Deswegen orientiert sich der gesamte Oberkörper leicht nach rechts und versucht so die Narbe zu schützen.
Ein Blick unter die Haut
Dies sind die direkt sichtbaren Auswirkungen. Aber wie steht es mit den nicht sichtbaren. Wie tief strahlt die Narbe. Dabei muss in der Tiefe gar nicht direkt eine Gewebeschädigung vorliegen. Dennoch kann die Beweglichkeit der rechten Niere eingeschränkt sein. Und der Volksmund hat recht! Sie wollen nicht, dass Ihnen etwas an die Nieren geht. Öffnet sich noch der Psoas Muskel, der direkt vor der Wirbelsäule liegt. Wenn nicht, dann hat das großen Einfluss auf Ihre Hüfte und oft auch auf Ihren Fuß.
Es schaut noch jemand zu
Wir tragen in unserem Geist ein Bild der Abmessungen und Möglichkeiten unseres Körpers. Deswegen können wir uns auch mit geschlossenen Augen an unsere eigene Nasenspitze fassen. Und in diesem Körperbild ist die Narbe der jungen Frau nie wirklich geschlossen worden. Als Schutz bauen sich so die sichtbaren Verspannungen auf. Bewegungen werden bis in die Haut hinein vermieden. Es wäre nun völlig fehl am Platze, die Narbe irgendwie dehnen zu wollen oder eine kraftvolle Mobilisierung vorzunehmen! Um es hier schon einmal vorwegzunehmen: Es ist möglich alte Narben zu behandeln, dies muss aber so umsichtig geschehen, dass Bewegungen hier als sicher empfunden werden!
Wie wir unsere Narben empfinden können
Bei einer Narbe denken wir meist zuerst an den sichtbaren Teil: Haut mit einer anderen Farbe, eine leichte Delle. Je nach Verletzung oder Operation bestehen Narben aber auch tiefer, nicht sichtbar, in ganz anderen Richtungen. Viele Patienten sind ganz erstaunt, wenn ich in unterschiedlichen Tiefen im Gewebe auf den Verlauf der Narbe hinweise. Die Unklarheit kann aber auch größer sein: Manche Menschen fassen diesen Bereich ihres Körpers nie mehr an, die Narbe ist für sie immer noch wund.
Es gibt Hinweise darauf, dass Sie ihre Narben behandeln lassen wollen. Die folgende Liste kann ein Anhaltspunkt sein, wenn eine Narbe so beschrieben wird:

- Gefühlloser Bereich um die Narbe
- Nicht zu mir gehörend
- Juckt immer wieder
- Meldet sich bei Wetteränderungen
- Strahlt über den sichtbaren Bereich der Narbe aus
- Schmerzt bei speziellen Bewegungen
Narben, mehr als nur das Schließen der Oberfläche
Ich habe es oben schon einmal erwähnt. Eine Narbe ist mehr als das Schließen der Haut. Es ist als, ob wir einen Riss in unserer Hose wieder zusammennähen und diese Naht mit unserer Haut verklebt. D.h. eine tiefere Ebene wird indirekt mit beeinflusst. Bei jedem Schritt bewegt sich nun unsere Hose und zieht an der Naht und an der Verklebung. Die Naht wird gedehnt und wir fürchten ein erneutes Aufreißen. Die Verklebung mit unserer Haut lässt uns ganz kribbelig werden oder aggressiv oder, oder … – je nach Veranlagung. So oder so – wir ändern unser Bewegungsmuster ziemlich schnell, sodass weder an der Naht noch an der Haut irgendwie gezogen wird. Nun ist Ziehen an Haut noch vergleichsweise harmlos.
Wie wir uns schützen
Unser Schutzmechanismus springt jedoch viel nachhaltiger an, wenn Organe oder Nerven betroffen sind. Unser Körper ist sehr bestimmt, was die Wichtigkeit unterschiedlicher Körperbereich angeht. Wichtiges zuerst, d.h. Organe, und damit unser Stoffwechsel, sind wichtiger als unser Bewegungsapparat. Es ist wie bei einem Auto. Zuerst einmal braucht es Benzin und der Motor muss laufen, erst dann reden wir über das satte Schließen der Tür oder das Klappern im Kofferraum. Gleiches gilt für unser Nervensystem. Unser Körper will und muss wissen „was Sache ist“ und dafür werden Nerven benötigt. Also lieber nicht bewegen, als Nerven zu reizen oder gar zu schädigen.
Schmerzen entstehen – von der Narbe entfernt
Narben haben einen direkten Einfluss auf unsere Wahrnehmung und unser Reagieren, so wie mit der genähten Hose gezeigt. Darüber hinaus gibt indirekt Auswirkungen, wie das Verkleben der Naht mit benachbarten Bereichen, hier der Haut. In beiden Fällen beschützen wir die gefährdeten Stellen, meisten greift unser Körper zu Anspannung und Nichtbewegen. Wir umlaufen unsere Verletzungen, hier ein paar Beispiele:
- Eine Gallen-OP kann unsere rechte Schulter beeinträchtigen.
- Eine Blinddarm-OP kann das Abrollen auf dem rechten Fuß ändern.
- Ein Kaiserschnitt kann das Öffnen der linken Hüfte beim Gehen verändern.
Eine alte Narbe zu behandeln bedeutet deswegen, auf unterschiedlichen Ebenen zu arbeiten. Zum einen ist das betroffene Gewebe manuell zu behandeln. Diese muss jedoch immer angenehm sein. Nur so kann Sicherheit wieder hergestellt werden und letzten Endes unser Körperbild heilen. Zudem sollten globalen Auswirkungen überprüft werden. Wie hat der Körper Schmerz und Unsicherheit vermieden? Welche Spannungen wurden als Schutz entwickelt? Welche Bewegungen wurden deswegen verlernt?
Narben behandeln – Hintergrund

Narben nach Schulteroperation
Sharon Wheeler hat diese Form der Behandlung von Narben entwickelt. Sie ist selbst Rolfer und wurde noch von Dr. Ida Rolf ausgebildet. Rolfer sind so unterschiedliche, wie Menschen eben unterschiedlich sind. Sharon Wheeler lebt sehr auf der Seite der sensiblen, sehr geschulten Hände. In Händen lebt auch ihre herausragend Vorstellung menschlicher Anatomie. Dies und ihr Rolfing-Hintergrund erklärt das Ziel ihrer Arbeit. Es ist eine sanfte funktionale Eingliederung der Narbe in das umliegende Gewebe.
Veränderung von Narben – ist es wissenschaftlich?
Sharon Wheeler hat ihre Arbeit im 4. International Fascia Research Congress vorgestellt. Dies können Sie hier nachlesen. Die gesamte Fazienforschung befindet sich in einem neuen Aufbruch. So kann auch diese Arbeit gesehen werden. Eine Zusammenfassung der Demonstration:
- 3 Frauen (58-63) mit 12-43 Jahre alten Narben im Bauchraum
- Ultraschall-Bilder vor der Behandlung
- Einmalige ca. einstündige Behandlung
- Kontrollbilder im Ultraschall 14 Tage nach der Behandlung
- Ausdehnung und Festigkeit der Narbe hatten abgenommen
- Wiederherstellung unterscheidbarer Gewebe-Ebenen
- Lösung des tieferliegenden Narbengewebes von der Haut von 1,79 cm auf 2,74 cm
Festzuhalten ist hier, eine wissenschaftliche Dokumentation macht noch keine wissenschaftliche Anerkennung. Dafür sind die Fallzahlen viel zu klein. Dies gilt leider für viele Bereiche der manuellen Medizin. Hier möchte ich den großartigen französischen Osteopathen zitieren: „Unsere Vorstellung ist die größte Beschränkung, indem was wir mit unseren Händen erreichen können“
Was bei dieser Arbeit im Gewebe passiert, wartet noch auf eine wissenschaftliche Erklärung. Aus Sicht der Betroffenen und der Behandler nimmt die Spannung im Narbenbereich jedoch nachhaltig ab. Oft kehrt die Sensibilität im Narbenbereich zurück. Zudem wird die Narbe vermehrt als „zum Körper gehörig“ beschrieben.
Behandeln von Narben bedeutet aus meiner Sicht Verletzungen wieder in den gesamten Körper einzugliedern. So kann sie eine Wunde weiter schließen und Heilung weiter voranschreiten.