Die meisten Verletzungen heilen ab – wie ein aufgeschlagenes Kinderknie. Ein Flicken auf der Hose, ein Pflaster auf die Wunde und wir haben bald alles vergessen. Doch wenn unsere Verletzungen tiefer reichen, dann muss die Heilung nicht nur oberflächlich passieren, um nachhaltig zu sein. D.h., es gibt unterschiedliche Ebenen der Heilung, die geschehen muss.
Ich bin in meiner Praxis immer wieder erstaunt, wie viele alte Verletzungen ich im Gewebe finde, die in der Vorbesprechung gar nicht erwähnt wurden und die auch gar nicht mehr im Bewusstsein sind. Dabei fallen mir diese „ausgeheilten“ Verletzung als weniger beweglich, oft als stumpf und nicht geschmeidig auf. Manchmal ist es wie ein Strudel, alles Gewebe drumherum „zieht“ auf diese Verletzung zu und leitet meine Hände dorthin. Diese Verletzungen sind dann wie ein Sog und der Körper errichtet deswegen sichere Barrikaden gegen diesen Sog.
Die erste Ebene der Heilung – Medizin
Hier spreche ich ganz medizinisch. Die Wunde schließt sich. Narben bilden sich. Und durch gute Mobilisierung sind wir meist nach einigen Wochen wieder gesund. Dies ist die erste Ebene der Heilung und im besten Falle war es das dann auch. Doch schon in meinem Sporttraining war ich immer erstaunt, dass sich der Schlüsselbeinbruch dann 20 Jahre später wieder meldete oder die OP oder der Auffahrunfall oder, oder… Wir sind dann nicht krank! Wir sind nur älter geworden und unser Körper ist nicht mehr so elastisch um diese Verletzungen auszugleichen.
Die zweite Ebene der Heilung – Integration
Nehmen wir als Beispiel eine Entfernung des Blinddarms. Lesen Sie hierzu den aktuellen Stand der Chirurgie auf Seite 8. Die Operation geschieht meist in der Kindheit, gilt als vergleichsweise einfach und der junge Körper kann mögliche Einschränkungen gut ausgleichen.

Vergleichen Sie unsere Bewegungsmöglichkeiten mit einem Uhrzeiger, der gleichmäßig alle Stunden auf dem Ziffernblatt überstreicht. Und nun kommt es zu einem Eingriff und der Stundenzeiger bleibt immer für eine halbe Stunde zwischen 2 und 3 Uhr hängen, um dann mit einem kleinen Ruck vorzuspringen. Die Uhr ist damit trotzdem gut brauchbar, vor allem, wenn Sie ihre kleine Macke kennen. Doch dieses Rucken des Zeigers wird das Uhrwerk mit der Zeit an ganz anderer Stelle belasten, vielleicht bricht eine Feder oder der Zeiger verstellt sich auf der Achse.
So kann es auch mit den Spätfolgen einer Blinddarm-OP sein. Sie benutzen Ihre rechte Hüfte nicht mehr ganz so frei, verspannen Ihren rechten Fuß, bekommen vielleicht Hammerzehen, verringern Ihre Schrittlänge, verspannen Ihre linke Schulter … Um es hier deutlich zu sagen: Sie sind nicht krank im eigentlichen Sinne! Sie haben lediglich Anpassungen „angesammelt“, die ihrerseits zu größeren Belastungen und damit zu Verschleiß führen. Hier kann eine strukturelle Integration, d.h. Rolfing, sehr hilfreich sein. Das Ziel ist dann eine Unabhängigkeit des Gewebes von Narben zu ermöglichen und Bewegungen neu auszurichten. Strukturelle Integration bedeutet damit, eine weitere Ebene der Heilung zu erreichen.
Die dritte Ebene – Auflösung des Traumas
Es gibt Unfälle und Verletzungen, die nicht nur unser Gewebe verletzt haben, sondern noch in unserem Nervensystem „feststecken“. Ein Trauma ist damit eine Emotion oder Bewegung, die nicht zu Ende gekommen ist.

Unser Nervensystem wurde überwältigt, weil etwas zu groß, zu stark oder zu schnell war. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass es nicht das Ereignis ist, das im Mittelpunkt steht, sondern die Reaktion unseres Nervensystems darauf. Was für eine Person eine Erfahrung ist, bedeutet für eine andere ein Trauma. Hier kann Somatic Experiencing (SE) sehr gut helfen und ist eine ideale Ergänzung zur reinen strukturellen Heilung. Ich empfehle gerne Therapeuten weiter, mit denen ich gut zusammenarbeite. Sie können sich aber auch hier umsehen.
Zusammenfassung – Ebenen der Heilung

Wir halten unseren Körper für feiner abgestimmt als ein Uhrwerk. Und dennoch gehen wir sorgloser damit um. Bricht ein Zahnrad, wird es gelötet oder getauscht. Doch dann wundern wir uns nicht, wenn das Uhrwerk lauter tickt oder manchmal die Zeiger etwas haken. Aber stören tut es uns trotzdem und wir tun eine ganze Menge, damit die Uhr wieder rund läuft.
Wir wollen unseren Körper, unser Uhrwerk doch so lange wie möglich freudvoll nutzen können. Das beutet dann aber auch, sich selbst um alle notwendigen Ebenen der Heilung zu kümmern. Um beim Bild zu bleiben: Das gebrochene Zahnrad wurde operiert – gut. Doch spielen auch alle benachbarten Räder gut mit und greifen wieder sauber ineinander? Auf Ihren Körper übertragen heißt das, die Frage nach struktureller Integration zu stellen.
Und dann ist unser Körper eben mehr als ein mechanisches Uhrwerk. Erfahrungen können so nachhaltig sein, dass unser Nervensystem überwältigt wurde. Auf dieser Ebene der Heilung müssen wir uns um unsere Traumata kümmern. Nur so werden wir nicht zum Sklaven unseres autonomen Nervensystems.