Reiten lebt von einer körperlichen Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Lesen Sie im Folgenden, warum Ihre Körperorientierung dafür wesentlich ist, aus welchem Grund Sie Ihre Orientierung möglicherweise umtrainieren sollten und weshalb Rolfing als Faszientherapie Sie hier direkt unterstützen kann. Sie verbessern dadurch Ihre Verbindung zum Pferd und können die Gefahr von Reitunfällen vermeiden.
Natürlich kann Rolfing nach Verletzungen helfen. Hier geht es aber darum, das Risiko von Reitunfällen überhaupt zu reduzieren.
Als Kind bin ich selbst geritten und weiß, in dem Alter ist man völlig furchtlos. Klar sollten wir aufpassen. Haben wir auch, denn wir wollten ja tatsächlich nicht vom Pferd fallen. Auf die Reitkoppel haben wir dann alles mögliche angeschleppt, um mit dem Pferd drüber zu springen, Zaunpfähle und leere Ölfässer. Und wenn ich dann mal wieder gestürzt bin, blieb ich immer einen Augenblick unbeweglich liegen. Mehr als einmal kamen andere aufgeregt angelaufen. Ich habe aber nur innerlich geprüft, ob nicht etwas gebrochen war. War es jedoch nie.
Glücklicherweise habe ich selbst nie einen ernsten Reitunfall erlebt. Möglicherweise lag es an meiner eigenen Bodenorientierung – dazu gleich noch mehr. In demselben Reitstall ist dann der Reitlehrer selbst ernsthaft verunglückt. Mir war damals nicht klar, dass Reiten zu den wirklich gefährlichen Sportarten zählt. Reiten liegt in der Unfallstatistik an Platz 3.
Dr. Ida Rolf – die Begründerin von Rolfing – hat selbst nicht so viel Glück gehabt. Sie hatte in jungen Jahren einen Reitunfall und seit dem Rückenschmerzen und Lungenbeschwerden. Diese waren mit der gängigen Schulmedizin damals nicht erfolgreich zu behandeln. Mit dieser Motivation suchte sie nach alternativen Behandlungsmethoden. Dabei stieß sie auf manuelle Therapien wie Osteopathie und Chiropraktik, die ihre Arbeit beeinflussen sollten. Wir können heute nur spekulieren, ob Dr. Ida Rolf ohne ihren Reitunfall und ihre Schmerzen so unterwegs gewesen wäre. So hat sie sich auf den Weg gemacht, das Wissen ihrer Zeit über manuelle Behandlungen einzusammeln und in eine neue Form – Rolfing – zu bringen.
Was ein guter Reiter mitbringen sollte

Andersherum könnte man auch fragen: Kann jeder Mensch gleich gut Reiten lernen? Oder gibt es Grundsätzliches, das eine gute Reiterin, wie in diesem Bild Vicky Wilson, mitbringen sollte? Um diese Frage verständlich zu beantworten, muss ich kurz ausholen – bleiben Sie dran. Dann wird klar, warum gute Reiter auch das Zeug zum guten Skifahren haben oder beides möglicherweise nur mit mehr Aufwand gelingen wird.
Die Vorlieben unseres Nervensystems
Obwohl in unserem Körper so vieles gleichzeitig geschieht, das meiste funktioniert in einer klar definierten Reihenfolge. Dies scheint auch für unsere Bewegungsmuster zu gelten. Kleine Mikrobewegungen formen nacheinander die eigentliche Aktion. Und noch bevor eine sichtbare Bewegung einsetzt, bereitet unser Körper die dafür notwendige Stabilisierung vor. Denn wir kippen im Stehen ja nicht nach vorne um, nur weil wir den Arm heben. Es kann eine Stabilisierung in den Waden oder einem minimalen nach hinten Lehnen sein. Ohne dem würden wir wie eine Puppe nach vorne umfallen, wenn das Gewicht der Hand vor unserer Körperachse wirkt.
Und nun kommt der Punkt: Unser Nervensystem entwickelt eine gewisse Faulheit, wie es diese Stabilisierungen auf den Weg bringt. Man könnte es aber auch Effizienz nennen. Es übt sich nicht in Abwechslung. Es bildet vielmehr eine Vorliebe aus. Entweder startet es vom Boden oder vom Brustbein aus. Im Sprachgebrauch des Rolfing heißt es dann, jemand besitzt eine Bodenorientierung oder eine Raumorientierung. Diese Orientierung gehört zu Ihnen wie Ihre Händigkeit. Sie sind wahrscheinlich entweder Links- oder Rechtshänder. Sie können Ihre schwache Seite trainieren. Doch wenn es ernst wird oder Sie müde sind, dann verlassen Sie sich auf Ihr angeborene Händigkeit. Gleiches gilt für Ihre Orientierung.
Bodenorientierung
Die Art wie wir uns bewegen ist uns so vertraut, dass wir uns meist nicht vorstellen können, es überhaupt anders tun zu können. Wenn wir also stehen und uns in Bewegung setzen, dann gibt es zwei beobachtbare Möglichkeiten. Entweder gehen wir minimal in die Hocke, um uns vom Boden abzustoßen. Es ist dann wie eine Stahlfeder, die wir etwas auf Vorspannung bringen, um zu starten. Oder, sofern wir raumorientiert sind, längen wir uns minimal im Oberkörper. Dies geschieht oft unter unserem Brustbein. Wir „fallen“ damit quasi in den Raum. Gehen ist ja ein nach vorne Fallen und Auffangen der Bewegung. Wir starten damit also entweder im Fallen oder im Auffangen.
Lernen Sie das Nervensystem zu lesen
Dies sind zugegebenermaßen sehr feine Unterschiede. Aber sie bestimmen welche Bewegungen uns leichter fallen oder wann wir etwas mehr Energie investieren müssen. Selbst bei so einer simplen Bewegung wie dem Nach-Oben-Zeigen. Wenn wir dabei auch noch unsere Komfortzone verlassen, wird es sichtbarer. Schon das Stehen auf einem Stuhl reicht dafür. Das Sitzen auf einem Pferd genügt allemal.
Bevor Sie weiterlesen. Sehen Sie die unterschiedlichen Orientierungen? Wer muss etwas extra Aufwand investieren, um nach oben zu zeigen? Oder andersherum, wer öffnet sich ganz beiläufig in den Raum?
Es ist mitnichten eine Frage des Geschlechts. In den obigen Bildern sind jedoch beide Frauen raumorientiert, während sowohl der Mann als auch der Junge eine Bodenorientierung haben.
Reiten und die richtige Orientierung

Sportarten, die davon leben zu kontrollieren, was und wie es unter ihnen ist, profitieren von Bodenorientierung. Beim Surfen, Snowboarden oder Skifahren reagieren Sie auf das Wasser oder den Schnee unter Ihnen. Sie leben auf der Welle unter Ihnen. Als Reiter reagieren sie auf das Pferd unter Ihnen. Ihr Nervensystem reicht gleichsam durch das Pferd in den Boden.
Es wäre nun falsch zu glauben, daß Ihr Pferd durch Ihre Bodenorientierung sich erdrückt fühlt. Im Bild mit Vicky Wilson ist das Gegenteil zu sehen. Als Reiterin hat Vicky eine sichtbare Bodenorientierung. Dies ist nicht vordergründig ihr Körperhaltung. Es ist vielmehr ihre Orientierung vom Kopf über die Schultern in ihr Becken, die in den Boden gerichtet ist.
Vickys Haltung ist „nur“ das Ergebnis ihrer Orientierung. Dadurch unterstützt sie als Reiterin ihr Pferd. Diese übertragene Klarheit kann das Pferd für mehr Aufrichtung nutzen. Diese Klarheit gibt auch Sicherheit für brenzlige Situationen und hilft damit Reitunfälle zu reduzieren.
Das Können der Reiterin, schnell und klar zu reagieren, wird durch eine Bodenorientierung der Reiterin unterstützt.
Reaktion im Schreck
Unser Reagieren im Schreck ist ein Notfallprogramm. Schnell, automatisch und unkontrollierbar springt es ein, um uns weg von Gefahren und hin zu Sicherheit zu bringen. Und da unsere Orientierung so tief in uns wurzelt, ist unsere Schreckreaktion von unserer Orientierung geprägt. Sich zu erschrecken ist wie das Aufheulen einer Maschine. Wir sind voll da und bereit zu agieren. Und damit sind wir in der Vorbereitung von Bewegungen. Und deswegen reagieren Menschen dabei so unterschiedlich. Menschen mit Raumorientierung gehen hoch, mit ihren Schultern, der Stimme, der Einatmung. Sie gehen sprichwörtlich durch die Decke. Hingegen sind Menschen mit Bodenorientierung geduckt, oft im Ausatmen. Sie orientieren sich am Boden, manchmal folgen dem dabei auch die Hände.
Pferde haben keine Orientierung in der Senkrechten wie wir. D.h., wir beobachten nicht Pferde mit Boden- oder Raumorientierung. Vielmehr liegt bei Pferden der Schreck im Steigen und die Sicherheit im Boden.
Sicherheit im Sattel mit Bodenorientierung
Im Reiten kommen nun zwei Nervensysteme zusammen. Reiten ist eine körperliche Kommunikation zwischen Pferd und Reiter. Und diese Kommunikation wird gesteuert durch Training und Präferenzen. Eine Bodenorientierung im Schreck bringt Reiter und Pferd zurück in Sicherheit. Eine Raumorientierung des Reiters droht die Verbindung zum Sattel und Pferd zu unterbrechen und einen Reitunfall zu provozieren.
Was machen Reiter mir Raumorientierung
Bodenorientierung von Reitern unterstützt die Sicherheit des Pferdes und verbessert die körperliche Kommunikation zwischen Reiter und Pferd. Doch wenn Sie jetzt feststellen, dass Sie raumorientiert sind und dennoch reiten wollen? Wie können Sie die Gefahr von Reitunfällen reduzieren und streng genommen Ihr Reiten verbessern?
Die Antwort ist so eine typische Gute-Nachricht-Schlechte-Nachricht Angelegenheit. Dabei lautet die gute Nachricht: Sie können tief in Ihr Nervensystem eingebrannte Reaktionen ändern. Doch die Schlechte bedeutet: je älter Sie sind, umso mehr Zeit und Energie wird es kosten.
Ein Fachbegriff ist hier wichtig, und zwar Neuroplastizität. Und wenn Sie jetzt einen Schreck ob soviel Wissenschaft bekommen, dann schauen Sie sich das unterhaltsame Video dazu an! Für den Fall, dass Sie Ihrem Englisch nicht trauen, hier ganz kurz der Inhalt, der Rest wird durch Bilder klar:
Wenn wir Radfahren können, dann ist das Lenken und unsere Stabilität völlig automatisiert. Destin hat nun ein umgebautes Fahrrad, bei dem der Lenker geändert wurde. Dadurch fährt das Rad nach rechts, wenn man nach links lenkt und umgekehrt. Was so simpel klingt, ist tatsächlich sehr schwer zu steuern. Die meisten glauben, dass sie das ganz schnell hinbekommen. Destin macht daraus einen Wettbewerb.
Doch tatsächlich kann niemand ohne Training mit Rad auch nur ein paar Meter fahren. Seinem Sohn verspricht er eine Reise, wenn er es schafft. Mit dieser Motivation braucht er 2 Wochen, um erfolgreich dieses merkwürdige Rad zu fahren. Destin selbst benötigt mehrere Monate, um denselben Lernerfolg zu erreichen. Was dazu führt, dass er fast das Fahren mit einem normalen Rad verlernt hat.
Trainieren Sie Ihr Nervensystem
Fallschule im Kampfsport ist ein weiteres Beispiel dafür, dass wir unsere instinktiven Reaktionen umdefinieren können. Eigentlich strecken wir beim Fallen unwillkürlich unsere Hände aus, um uns abzufangen. Jeder, der sich dabei schon mal den Arm gebrochen hat, weiß, dass das keine so gute Idee ist. Deswegen wird z.B. im Judo immer wieder trainiert, anders zu fallen. Der Arm wird nicht zum Abstützen verwendet. Der Arm bleibt rund wie ein Überrollbügel. Stunde um Stunde wird geübt, bis auch im Schreck und im Wettkampf dieses neue Programm als Automatismus greift.
Die Beispiele mit dem verrückten Rad und der Fallschule zeigen, unser Gehirn kann sich ändern. Einmal gelernt, wird nur eben nicht so schnell geändert. Was ja auch Sinn macht! Erfahrung heißt auch, Verlässlichkeit in unseren Reaktionen zu haben.
Sind eigentlich alle mongolischen Reiter bodenorientiert? Natürlich nicht, nur ihnen wird ja nachgesagt, dass sie erst Reiten und dann Laufen lernen. Die hohe Neuroplastizität ist die Rettung. Mit anderen Worten: Die hohe Anpassbarkeit des Gehirns. In jungen Jahren lernen diese Kinder sehr früh eine Orientierung nach unten zum Pferd, unabhängig von der Orientierung des Nervensystems.
Die Herausforderung der Raumorientierung für das Reiten angehen
Ein Teil des klassischen Reitunterrichts versucht die Orientierung nach unten zu verbessern. Dafür reiten wir ohne Steigbügel oder sitzen beim Traben aus. Daran ist nichts Falsches. Die Frage ist, wann macht es in Ihrem Nervensystem „klick“? Wann verstehen Sie, was Sie machen müssen? Wie bekommen Sie Ihre Hüfte unter sich? Können Sie Ihre Schultern tief lassen?
Dies sind alles keine großen Bewegungen. Hier geht es vielmehr um die Stabilisierung, die den sichtbaren Bewegungen vorausgeht. Es ist wie beim Stimmen eines Instruments, Sie müssen die Töne gut hören, bevor Sie darüber entscheiden, ob es zu hoch oder zu tief ist. Übertragen auf Ihren Körper heißt dies, Sie wollen eine gute Körperwahrnehmung (Propriozeption) haben.
Und hier nun kommt Rolfing als Training der Propriozeption ins Spiel. Es ist die Faszienarbeit, die die tiefe Muskulatur und die umhüllenden Faszien erreicht. Dies stimuliert die Körperwahrnehmung und bereitet ein Umtrainieren der Stabilisierung vor. Sie werden immer raumorientiert bleiben. Sie können jedoch lernen sich auch immer sicherer in einer Bodenorientierung zu bewegen. Dadurch werden Sie eine bessere Reiterin und minimieren das Risiko von Reitunfällen, da Ihre Reaktionen Ihrem Pferd Sicherheit vermitteln.
Wenn Sie sich mehr bewegen wollen, dann können Sie bodenorientierte Sportarten wählen. Also z.B. Surfen, Skifahren, Skaten, Schlittschuhlaufen, Judo, Ringen. Wenn Sie Yoga machen, dann suchen Sie eine Trainerin, die selbst bodenorientiert ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird das Programm bodenlastig sein.
Zusammenfassung
Reitunfälle vermeiden durch Bodenorientierung

Was hilft Reitunfälle zu vermeiden?
Eine Bodenorientierung des Reiters unterstützt ein sicheres Führen des Pferdes. Unter Bodenorientierung versteht man die Art, wie bei vielen Menschen Stabilisierungen des Körpers organisiert wird.
Gibt es Situation, bei denen Bodenorientierung besonders hilfreich ist?
Es sind Situationen, bei denen sich Pferd oder Reiter erschrecken. Die Bodenorientierung eines Reiters überträgt Sicherheit auf das Pferd und kann damit die Situation entschärfen.
Sollten Menschen mit Raumorientierung auf das Reiten verzichten?
Nein. Sie müssen jedoch die Extra-Meile gehen und sich ein Teil der Bodenorientierung aneignen.
Wie kann Rolfing Reitern mit Raumorientierung helfen?
Eine gute geschulte Körperwahrnehmung ist die Voraussetzung für eine Erweiterung der eigenen Körperorientierung. Tiefe Faszienarbeit spricht direkt unsere Propiozeption (Körperwahrnehmung) an. Dadurch lernen Sie, sich immer sicherer in einer Bodenorientierung zu bewegen. Neben der manuellen Faszienarbeit gehört zum Rolfing auch eine Bewegungsschulung, die vor allem auf Bewegungsorganisation zielt. Auch dadurch kann das Muster einer Bodenorientierung erleichtert werden.