Die Gehgeschwindigkeit kann verraten, wie gesund und geistig fit sie ist.
Die Gehgeschwindigkeit kann verraten, wie gesund und geistig fit sie ist.Eine neue Studie zeigt, dass unsere Körperbeweglichkeit enger mit unserer geistigen Fitness verbunden ist als allgemein vermutet. Wer mit 45 schneller gehen kann, der ist nicht nur körperlich, sondern auch geistig fitter als seine Altersgenossen. D.h., unser Gang, unsere Geh-Geschwindigkeit zeigt unser Alter und unsere Gesundheit an!
Die Studie kann hier im Detail nachgelesen werden. Untersucht wurden dabei 904 Menschen im Alter von 45. Die Fragestellung hierbei war: Wird die Laufgeschwindigkeit im Alter von 45 Jahren mit beschleunigtem biologischem Altern, neurokognitiver Funktion und kognitivem Rückgang in Verbindung gebracht? Die vereinfachte Antwort ist: „Ja.“
Ist die Verbindung von Gang-Geschwindigkeit und Alter neu?
Tatsächlich ist bereits einiges bekannt. So hebt die Studie hervor: Die Geschwindigkeit beim Gehen ist ein bekannter Indikator für Funktionsverlust und Sterblichkeit im Alter. Die Studienlage ist breit. Hier nur ein Auszug:
- Ganggeschwindigkeit und Überleben bei älteren Erwachsenen
- Der Zusammenhang zwischen Ganggeschwindigkeit und kognitivem Status bei älteren Menschen in Wohngemeinschaften
- Kognition und Mobilität zeigen eine globale Assoziation im mittleren und späten Erwachsenenalter: Analysen aus der kanadischen Längsschnittstudie zum Altern
Mobilität im allgemeinen und Ganggeschwindigkeit im Speziellen ist eng verbunden mit unserer geistigen Gesundheit und Fitness und der Chance, alt zu werden.
Was ist neu – Wie weit reicht diese Verbindung aus Gehgeschwindigkeit und Altern
Neu ist, dass die Gehgeschwindigkeit bereits im mittleren Alter ein verlässlicher Indikator für unsere Gesundheit ist. Die Studie ermutigt uns, im Gang mehr zu sehen:
Unser Gang ist nicht nur eine Frage der Motorik, er ist vielmehr ein umfassendes Maß für unsere Gesundheit.
LINE JEE HARTMANN RASMUSSEN, PHD; AVSHALOM CASPI, PHD; ANTONY AMBLER, MSCS
Die Studie fasst die Ergebnisse folgendermaßen zusammen:
- Langsame Gehgeschwindigkeit ist verbunden mit schlechter körperlicher Verfassung, nicht nur bei Älteren, sondern bereits bei 45-Jährigen.
- Im mittleren Alter ist eine langsame Gehgeschwindigkeit verbunden mit beschleunigtem Altern. Dieses Altern bezieht sich auf Schädigung von Organen in den vorangegangenen 20 Jahren. Das beschleunigte Altern steht jedoch auch mit Schädigung der Hirnstruktur in Zusammenhang.
- Langsame Gang-Geschwindigkeit zeigt verschlechterte neuro-kognitive Fähigkeiten. D.h. Einschränkungen der differenzierten Wahrnehmung, der Denkfähigkeit, des Erkennens und Bewusstwerdens der Vorgänge in sich selbst und in seiner Umgebung, Gedächtnis, Problemlösefähigkeit und des Bereichs der Phantasie und Kreativität.
Was kann ich nun tun?
Die Studie beschreibt in sehr medizinischer Weise, wovon unsere Geh-Geschwindigkeit abhängt. Daher möchte ich diesen Zusammenhang im folgenden etwas „aufdröseln“, denn daraus ergibt sich unser Potenzial. Die Studie führt aus:
Die Fähigkeit zu gehen hängt ab vom Zusammenspiel und der Funktion unseres Muskel-Skelett-Systems, unserer visuellen Aufnahme, des Zentralen und peripheren Nervensystems, unserer aeroben Kapazität, unserer Herz-Lungen Fitness und unserer Energieproduktion und Verteilung.
Einführung der Studie: Association of Neurocognitive and Physical Function With Gait Speed in Midlife
Im Folgenden greife ich die ersten 3 Punkte auf, da es hier besonders viele Missverständnisse gibt.
- Pflege unseres Muskel-Skelett Systems
- Schulung und Korrektur unserer Wahrnehmung
- Pflege unseres Nervensystems
Pflege unseres Muskel-Skelett Systems
Sie ahnen es –
ohne Fleiß kein Preis. Unser Muskel-Skelett System benötigt ein gutes Maß an Beanspruchung, um gesund zu bleiben. Spazieren gehen im „Schlender-Modus“ reicht nicht aus!
Wie schnell Sie gehen, hängt natürlich auch vom Training ab. Diese Aussage ist ja fast hirnlos. Aber umgekehrt wird es schwieriger! Wenn der Gang die Geschwindigkeit des Alterns anzeigt, warum sollte eine durch Training und/oder aktive Nutzung verbesserte Geh-Geschwindigkeit dann positiv Ihr Alter verändern? Bevor ich zur Antwort komme, gilt es ein Missverständnis auszuräumen. Gehen ist keine Aktivität der Beine allein!
Gehen – Laufen – nicht nur die Beine, der ganze Körper ist aktiv! Hier nur ein Auszug:
- Hinter Ihren Nieren pumpt unser tiefster Lendenmuskel
- Arme und Zwischenrippenmuskeln verwinden die Lunge
- Ihr Dickdarm wird in viele Richtungen gedehnt
- Ihre Bauchmuskeln massieren Ihren Dünndarm
- Ihre sich verdrehende Wirbelsäule zieht an allen Nerven für Ihre Organe im Bauchraum
- …
Die menschliche Entwicklungsgeschichte hat uns als Langstrecken-Traber und Kurzstrecken-Sprinter ausgelegt. Unsere Vorfahren haben im Trabe-Schritt ihre Beute zu Tode gehetzt. Denn wir haben als Jäger weder besonders scharfe Zähne noch Klauen. Unsere Waffe war unsere Ausdauer im leichten Trab – Stunde um Stunde – in Gruppen manchmal über Tage. Dadurch wurde unser Körper für diese Effizienz geformt. Und tausende von Druck- und Zugsensoren haben sich überall in unserem Körper eingefunden, um diese Effizienz zu ermöglichen. Eine enge Verzahnung von Bewegung, Verdauung, Stress- und Immunreaktionen lebt von dem Funktionieren dieser Druck- und Zugsensoren. Deswegen zeigt unser Gang, ob wir uns noch effizient bewegen oder die Geschwindigkeit des Alterns bereits zugenommen hat.
Einschub – Zügeln Sie Ihren Ehrgeiz
Wenn Sie Mitteleuropäer sind, dann konkurrieren Sie nicht mit Ihren afrikanischen Vorfahren oder heutigen afrikanischen Sportlern. Denn unsere Anpassung an ein kälteres Klima hat uns einen geänderten Stoffwechsel und eine veränderte Muskulatur verschafft. Deswegen haben wir kürzere Sehnenansätze und mehr Muskelmasse, um durch Verlustwärme unsere Körpertemperatur im Kühlen besser aufrecht zu erhalten. D.h., Sie sind langsamer und nicht so ausdauernd – übertreiben Sie also nicht. Dafür frieren Sie auch nicht so leicht, wenn Sie sich bewegen.
Wer rastet, der rostet! Oder – nehmen Sie Ihre Geh-Geschwindigkeit im Alter nicht so hin!
Wie Sie gesehen haben, ist unser Körper um Bewegung herum organisiert. Genauer, unser Körper ist vor allem um zügiges Gehen herum konstruiert. Dabei produziert die äußere Bewegung eine innere Bewegung an Organen, Nerven und Bindegewebe. Denn diese Bewegung ist eigentlich der Normalfall und signalisiert unserem Nervensystem: Alles in Ordnung! Wenn Sie zügig gehen, dann produzieren Sie diesen Normalfall und Ihr Körper erhält die Impulse, die er erwartet und sinnvoll umsetzen kann. Deswegen zeigt die Geschwindigkeit des Gangs die Geschwindigkeit des Alterns an. Oder anders herum, deswegen wollen Sie zügig Gehen.
Schaffen Sie die richtigen Voraussetzungen
Die Frage lautet: Was brauchen Sie, um aus Sicht Ihres Körpers richtig zu laufen. So, dass all Ihre Druck- und Zugrezeptoren die richtigen Impulse bekommen. Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Sie müssen nur akzeptieren, dass unser Körper noch immer so konstruiert ist wie vor 5.000, 10.000 und 100.000 Jahren. Erstens brauchen Sie gesunde, bewegliche Füße – Schuhe sind nachrangig. Zweitens muss sich Ihre Hüfte öffnen können. Wenn beides gegeben ist, dann findet sich das Knie gut ein. Ihre Schultern sollen frei schwingen, um den Impuls des vorschnellenden Fußes gut ausgleichen zu können. Sie brauchen dafür keine Stöcke, wenn Sie gesund sind. Wenn es hier irgendwo hakt, wenn Sie Schmerzen haben, wenn Sie steif werden, dann kümmern Sie sich darum!
Meine eigene Geschichte zeigt, negative Veränderungen im Fuß können rückgängig gemacht werden. Mein Gang war massiv beeinträchtigt, die Geschwindigkeit meines Alterns zeigte sich in meiner gesamten Haltung. Die orthopädische Antwort war „Sie haben eine genetische Disposition“. Meine Antwort war, sich intensiv um meine Einschränkung zu kümmern. Mit Erfolg, auch wenn es lange gedauert hat.
Schulung und Korrektur unserer Wahrnehmung
Achten Sie auf Sicherheit
Wenn es um Ihre Geh-Geschwindigkeit geht, dann stellt sich auch die Frage nach Sicherheit. Denn Sie gehen nur zügig, wenn Sie sich sicher fühlen. Dafür muss Ihre Wahrnehmung Ihnen rundum Sicherheit vermitteln. Wenn Sie fürchten zu stürzen, dann benötigen Sie Stöcke oder einen Rollator. Wenn Sie jemand sind, der immer wieder auf den Boden sieht, um den Bereich vor sich zu kontrollieren, dann brauchen Sie beim Gehen eine Brille, wenn Sie nicht mehr so gut sehen. (Mehr zur Frage nach Orientierung und warum Sie den Blick zum Boden möglicherweise brauchen, lesen Sie hier.) Auch die Frage nach Tasche oder Rucksack ist letztlich die Frage nach Behinderung bzw. Sicherheit beim Gehen.
Hinterfragen Sie Ratschläge
Unsere Welt ist voll gutgemeinter Ratschläge. Ob von Eltern, Ärzten, Therapeuten oder Journalisten. Doch ich glaube nicht, dass Sie sich einen gesunden Gang antrainieren können. Sie gehen dann immer mit angezogener Handbremse. Im Folgenden spekuliere ich mal über die Ratschläge, die die junge Frau im blauen Kleid verinnerlicht hat: Mit der Fußspitze aufzukommen sieht aber eleganter aus! Du kommst immer so hart mit der Ferse auf, man hört dich jedes Mal durch den ganzen Raum! Du hast Plattfüße, geh‘ mehr auf der Außenkante, das fördert dein natürliches Fußgewölbe! Zieh beim Gehen den Bau ein, wie sieht das sonst aus! Wenn du nicht richtig gehst, kriegst du Einlagen!
Alles gut gemeint, alles falsch! Um nur einen Punkt herauszuziehen: Wenn Ihr Gang besonders laut ist – ich gehöre selbst dazu – dann ist das ein Hinweis auf fehlende Federung im Unterschenkel. Ihr Unterschenkel besitzt eine eingebaute Dämpfung, um den Stoß beim Aufkommen mit der Ferse (!) abzufedern. Kümmern Sie sich deswegen lieber um eine verbesserte Stoßdämpfung Ihrer Wade und verschlimmbessern Sie dies nicht durch „richtiges“ Gehen.
Pflege unseres Nervensystems
Unser Nervensystem überprüft ständig, ob der Umfang unserer Bewegungen für uns sicher ist. Denn wir kugeln uns unsere Gelenke bei normalen Bewegungen nicht aus oder überdehnen Bänder oder Sehnen. Denn unser Nervensystem fungiert hier als Schutz, indem es unsere Grenzen markiert. Doch diese Grenzen können zu eng gesteckt sein. Unser Nervensystem erachtet es dann als nicht sicher, unsere Hüfte zu öffnen. Dann machen wir unwillkürlich kleinere Schritte. Zwar können wir willentlich unser Bein noch hinter unsere Körperachse bringen, doch „irgendetwas“ unterbindet dies, wenn wir nicht daran denken. Dieses „irgendetwas“ kann eine Blinddarmoperation sein, ein Kaiserschnitt, eine Gallenblasen-OP. Die Verletzung ist meist gut ausgeheilt. Dennoch stellt sie oft ganz nachhaltig eine Störung in unserem Nervensystem dar. Im Endergebnis vermeiden wir Bewegung und vor allem Zug in den betroffenen Narbenbereichen.
Sie ahnen es wohl bereits. Weniger Bewegung bedeutet auch weniger normalen Druck- und Zugreiz und damit weniger gesunder Input. Unser Körper ist jedoch um diese normalen Reize herum organisiert, sodass Degeneration und Schäden die Folge sind. Und deswegen zeigt unser Gang die aktuelle Geschwindigkeit des Alterns an.
Einschub – Gangbild aus Rolfing-Sicht
Das Bild der jungen Frau zeigt gut, was Rolfing unter „ganzheitlich“ versteht: Die Beschwerden können ganz punktuelle sein: steifer Nacken, verspannte Schultern, allgemeine, diffuse Verdauungsprobleme, ein Ziehen im Steißbein oder … . Doch diese Beschwerden sind nur Folge von etwas Größerem. Ganzheitlich gesehen verhindert „irgendetwas“ die freie Öffnung der Bauchseite. Und ihre Haltung hat dieses „irgendetwas“ verinnerlicht. Manuelle Arbeit als auch Schulung der Wahrnehmung werden zusammen die Fähigkeit und die Sicherheit in der Öffnung ermöglichen. Die veränderte, sichtbare, natürliche Haltung wird ein Gradmesser für die Veränderung sein. Änderung der Haltung ist also nicht das Ziel sondern das Ergebnis einer Rolfing Serie. Deswegen fordern Rolfer ihre Klienten so häufig auf, in der Praxis auf und ab zu gehen. Rolfer sind darin geschult, aus der Haltung im Gehen auf noch ungenutztes Potenzial zu schließen.
Zusammenfassung
Unser Gang zeigt die Geschwindigkeit des Alterns an. Unsere Geh-Geschwindigkeit ist aber nicht nur ein Maß für unsere körperliche Fitness, sondern auch für unser geistiges Altwerden.
- Unser Körper ist für langes, zügiges Gehen oder Traben ausgelegt.
Viele Organfunktionen werden durch diese Bewegung positiv stimuliert.
- Kümmern Sie sich um Beschränkungen, die Sie vom zügigen Gehen oder Traben abhalten.
Es ist wichtig, dass Sie Ihren Fuß richtig abrollen oder Ihre Hüfte strecken können. Genauso wichtig ist es, Sicherheit beim Gehen herzustellen und dafür ggf. Hilfsmittel heranzuziehen.
- Wer rastet, der rostet
Sie müssen nicht nur zügig gehen können, Sie müssen es auch tun. Nur so produzieren Sie das Reizsystem für Ihren Körper, für das Ihr Körper auch ausgelegt ist.