Wie viel von sich können Sie im Spiegel sehen? Diese rhetorische Frage nur als Einleitung, welche Grenzen es in der Selbstbehandlung gibt. Auf der anderen Seite können Sie durchaus viel für Ihre Fasziengesundheit durch Selbstbehandlung tun. Es ist tatsächlich so wie beim Blick in den Spiegel, Sie sehen sich immer von genau einer Seite. Und zusätzlich gibt es Bereiche, die Sie eigentlich auch nicht sehen wollen. Doch zunächst Übungen, die Sie für Ihre eigene Faszien-Fitness unternehmen können. Und diese Übungen sind auch Anleitungen gesund und beweglich zu altern. Fasziengesundheit heißt unter anderem zügig gehen zu können. Warum Sie das wollen, lesen Sie hier.
Verkürzte Muskeln – ein Mythos – Aber …
Sie kennen den erhobenen Zeigefinger an alle Sportler, „Dehnen!“ sonst „verkürzen sich die Muskeln!!“. Und alle haben ein schlechtes Gewissen. Denn eigentlich müssten die meisten wohl mehr dehnen. Jetzt gibt es eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute ist, dass Muskeln sich nicht verkürzen, zumindest nicht die eigentlichen Muskelfasern. Die schlechte ist nicht ganz so schlecht: Es ist die Umhüllung der Muskeln, es sind die Faszien, die sich verkürzen und für die gibt es ein klare zügige „Dehn-Kur“. Es ist wie mit einem Taucher in einem Taucheranzug. Nicht der Taucher wird steifer, sondern der Taucheranzug läuft ein und wird enger. Es gilt also die Umhüllung zu dehnen. Dafür brauchen Sie nicht viel Zeit, es muss nur richtig passieren.
Dehnen von Faszien – eine sinnvolle Selbstbehandlung
Unser Faszien-Netz befindet sich in einem ständigen Umbau. Und deswegen kann die Faszien Selbstbehandlung hier eingreifen. Die dafür zuständigen Zellen benötigen lediglich den klaren Reiz, „NICHT ENGER MACHEN“. Tatsächlich, diese Zellen reagieren auf einen überschwelligen Stimulus. Das heißt, kurzfristig Dehnung über das Normalmaß des „Üblichen“. Es ist, als wollten Sie ein Tuch auf dem Sofa glatt zupfen. Sie brauchen einen kurzen entschiedenen Ruck, um eine Falte glattzuziehen. Dieser Ruck darf aber nicht so groß sein, dass ganz viele neue Falten entstehen. Konkret, Sie kommen mit den Fingerspitzen im Stehen nicht sooo leicht an Ihre Füße und wollen dies nun verbessern:
Dehnen der rückwärtigen Linie – so kommen Sie zu Ihren Zehen
Sie kennen wahrscheinlich die gequälte Übung im Sitzen, die Finger bei gestreckten Beinen zu den Zehen zu bringen. Es klappt nicht und Sie bemühen sich schon richtig! Und wo tut es weh? Na, in den Kniekehlen. Wollen Sie denn dort dehnen? Natürlich nicht, sinnvoll ist es doch dort zu dehnen, wo es am kürzesten ist und wo noch am meisten Potenzial für Ihre Beweglichkeit liegt. Und die liegt dort, wo sie viel Muskulatur haben. Es ist dieselbe Dehnung die Sie brauchen, um sich bequem mit flachem Fuß auf dem Boden hinzuhocken – so wie es die Hälfte der Menschheit macht.
Zunächst gilt es zu klären, wo bzw. was Sie längen wollen. Dann kommt das Wie. Also, Sie wollen dort einen sinnvollen Zug auf Ihre Faszien bekommen, wo Ihre rückwärtigen Beinmuskeln an den Sitzbeinhöckern ansetzen. Wenn Sie dort lang sind, dann haben Sie auch keinen Rundrücken. Schauen Sie sich den älteren Sportler oben im Bild an. Er staucht eher seinen Bauchraum zusammen als das „irgendwas“ hinten dehnt. Der Jogger im anderen Bild kommt zwar mit der Hand zu seinen Füßen, er holt sich die Beweglichkeit aber aus dem rund geformten Oberkörper. Die Fitnesstrainerin macht es richtig, sie zielt mit ihrer Bewegung auf Übergang von Bein zu Po.
Wie Sie Ihre Faszien sinnvoll dehnen
Sie wollen kurz und über Ihr „Normalmaß“ hinaus einen kurzen Impuls in Ihr Fasziensystem geben. Dafür lassen Sie sich aus dem Stehen in die Haltung der obigen Fitnesstrainerin fallen. Wenn Sie so steif sind wie der obige ältere Sportler, dann gibt es einen natürlichen Stopp. Sie „fallen“, genauer gesagt wippen schnell bis zu diesem Stopp und kommen wieder in den Stand. Wenn Sie merken, dass der untere Rand Ihrer Unterhose hinten etwas rutscht, dann machen Sie es genau richtig.
Wiederholen Sie dies einige Mal, probieren Sie dabei etwas andere Richtungen aus. D.h., Sie gehen nicht immer gleich in die Hocke, sondern mal etwas weiter links dann wieder weiter rechts. Ein paar mal wiederholt – FERTIG. Einmal am Tag und Sie kommen mit der Zeit immer weiter runter.
Nicht jede Dehnung macht Sinn
Die Haltung des jungen Sportlers ist so ein Beispiel, an dem jeder Rolfer sieht, hier macht Rolfing als 10er Serie richtig Sinn. Ohne irgend einen Ausgleich, sind Schulterschmerzen in der Zukunft vorprogrammiert. Hier gilt es tatsächlich, ganzheitlich den Körper um eine gedachte senkrechte Linie neu zu organisieren. Aber auch ohne Faszientherapie könnte der junge Mann sinnvoll etwas für seine Fasziengesundheit tun. Die erste Frage heißt, wo ist sein „innerer Taucheranzug“ zu eng. Sehen Sie es? Es ist der Bereich von der Leiste über den Bauchnabel bis unter sein Brustbein. Der ganze übrige Körper organisiert sich um diesen gehaltenen Bereich. Also einfach nur irgendwie etwas für die eigene Beweglichkeit zu tun, ist keine sinnvolle Faszien Selbstbehandlung.

Um den Bauchraum durch eine Übung zu erreichen, sollten die Arme mit Schwung über den Kopf gestreckt werden. So, als ob Sie durch die Energie der Bewegung Ihr straffes T-Shirt etwas aus der Hose ziehen wollten. Und weil Sie an Ihrem T-Shirt nicht nur an einer Stelle ziehen wollen, nehmen Sie die Hände in die unterschiedlichsten Richtungen nach oben. Solange, bis es über die gesamte Vorderseite etwas mehr Luft hat.
Der junge Mann zeigt auch die Grenzen der Eigenbehandlung auf. Sich wie oben zu dehnen und somit etwas für die Gleitfähigkeit seiner Faszien zu unternehmen, ist erst einmal ein guter Ansatz. Die weitere Frage ist aber auch, wieso lebt er in dieser Haltung? In welchen Tiefen und Ebenen seines Körpers bedarf es weiterer Änderungen? All dies sind Fragen, die Rolfing ganz systematisch angeht. Deswegen kann Rolfing erst einmal aus reinen Fitness- und Effizienz-Überlegungen begonnen werden. Oft zeigt sich jedoch, Haltung hat zutiefst etwas mit uns zu tun. Und so versteht sich Rolfing als ganzheitliche Therapie, da es mehr als nur ein paar Faszien geschmeidig gestaltet.
Faszien sinnvoll dehnen – eine Videoanleitung

Wer muss bei der Faszien Selbstbehandlung aufpassen?
Es wäre doch fantastisch, wenn wir uns vollständig um uns selbst kümmern und sorgen könnten. Doch vielleicht ahnen Sie, dass die Selbstbehandlung von Faszien ihre Grenzen hat. Drei Bilder für drei Grenzen.
Yoga verbessert auch die Beweglichkeit des Körpers. Doch Yoga ist in den meisten Formen weniger dynamisch, als die oben beschriebene Art, Faszien gesund zu dehnen. Das ist insofern interessant, als Yoga ja tatsächlich die Beweglichkeit steigert. Yoga zielt jedoch nicht nur auf unsere Faszienhüllen, sondern auch auf unser Nervensystem und unsere Blutversorgung. Nerven und Gefäße haben eine deutlich längere Reaktionszeit, als unser Fasziensystem. Das beutet, dass der Reiz länger andauern muss, bis überhaupt eine Änderungsreaktion provoziert wird. Wenn Sie Yoga praktizieren, dann brauchen Sie wahrscheinlich nur für Ihre Yoga-Anfänge eine Faszien Selbstbehandlung. Wenn Sie wie der Yoga-Mann nur noch die Frage nach dem richtigen Hut stellen, sind Sie über einfache Faszien Fitness-Fragen hinaus.
Die Falle großer Beweglichkeit
Vielleicht mögen Sie verbeulte, ausgeleierte Hosen. Vielleicht auch, weil es so lässig aussieht. Ihr Fasziensystem sollte jedoch nie und nimmer verbeult und ausgeleiert sein! Und ja, Sie können mit Gewalt Ihr Fasziensystem verdehnen und ausleiern. Dahinter steht die Frage nach einem Ausgleich von Stabilität und Flexibilität.
Hyperflexibilität – eine Gefahr für Ihr Fasziensystem
Zuviel von einem – auch von Flexibilität – ist schädlich. In beiden Fällen schädigen Sie Ihre Gelenke. Verschleiß und Entzündungen sind oft die Folge. Die meisten Männer und viele Frauen können zeitlebens an Ihrer Beweglichkeit arbeiten. Jedoch nicht wenige Frauen haben ein so weiches Bindegewebe, das Faszien Fitness und Yoga Gift sind! Es ist wie der alte Spruch! „Die Dosis macht das Gift.“ Und einige Menschen reagieren eben bereits auf eine kleine Dosis. Wenn Ihnen Yoga von der ersten Stunde an leicht fällt, dann gehören Sie zu dieser gefährdeten Gruppe. Das ist keine Frage von „natürlicher“Begabung! Sie überdehnen Ihr Fasziensystem.
Rundumsicht
Jede Selbstbehandlung, auch die von Faszien, ist auf Ihre Sichtweise angewiesen. Sie sind Ihr eigener Spiegel. Das bedeutet auch, dass Sie Ihre Rückseite, Ihr Profil, Ihre typischen Bewegungen nicht kennen. Deswegen sind die meisten Menschen auch mit Fotos von sich selbst nicht zufrieden. Letzten Endes wissen wir nicht, was typisch für uns ist. So skurril es klingt, die Gefahr der Selbstbehandlung ist, dass Sie etwas behandeln, was Sie nicht kennen. Ihnen fehlt schlicht die Rundumsicht – eine Sicht, bei der Sie nicht im Spiegel posieren.
Rolfing als Faszientherapie bietet oft diesen neutralen, wohlwollenden Spiegel. Diese Rückmeldung ohne Bewertung, hier an dieser Stelle, das sind Sie. Das mag banal klingen, doch unser Nervensystem, unser Selbst ist von Rückmeldungen über uns selbst abhängig. Rolfing vermag deshalb Grenzen zu versetzen oder auch klar zu definieren. Deswegen kann Rolfing sowohl für eine Verbesserung der Beweglichkeit als auch für die Therapie von Schmerzen eingesetzt werden.
Rolfing bietet eine externe Neutralität. Diese können Sie aus sich selbst heraus nicht erreichen. Deswegen können Sie sich auch nicht selbst kitzeln, Sie nehmen sich immer von außen und innen gleichzeitig wahr. Dies mag zwar positiv klingen, verhindert aber Entdeckung von Neuem und damit von Veränderungen.