Wir wissen alle, dass wir älter werden, und zwar täglich. Doch glücklicherweise bemerken wir dies nicht täglich, sondern meist nur nach größeren Etappen. Scheinbar aus heiterem Himmel meldet sich dann „etwas“. Der Rücken, die Füße, die Schulter … Und wenn wir wieder so einen Erkenntnisschub haben, suchen wir anschließend nach Gründen, nach einem Schuldigen: Natürlich haben wir nicht genug Sport gemacht. Wir sitzen auch zu viel. Unser Gewicht ist obendrein so eine Sache. Und dann gibt es da noch diese alte Verletzung. Bei all dem übersehen wir jedoch meistens eins, das Altern unseres Fasziensystems: wie uns ein Teil der Körperwahrnehmung entgleitet, wie die Beweglichkeit nachlässt sowie sich Ausgleichsbewegungen „unglücklich“ in unserer Haltung summieren.
Fasziensystem? Früher wurde nur über Bindegewebe gesprochen. Das Verständnis war, das Bindegewebe sei lediglich der „Kleber“ zwischen dem was wichtig ist: Muskeln, Knochen, Nerven … Heute wissen wir, dass das Bindegewebe, d.h. die Faszien eigentlich 2 Dinge sind. Zum einen ein Gewebe zum anderen ein System. Und worum es sich bei diesem System handelt und warum dies für das gesunde Älterwerden wichtig ist, darum geht es in diesem Beitrag.
Faszien ein System und warum das wichtig ist
Sie können ganz viel über Faszien lesen: Wie wichtig sie sind und woraus sie bestehen, was Kollagenfasern sind und vieles mehr. Und dennoch fragen Sie sich, was das ganze mit Ihnen zu tun hat. Es ist, als ob Sie über Verkehr, d.h. Straßenverkehr, reden wollen und alle sprechen nur über Autos. Natürlich tragen Autos zum Verkehr bei, aber es ist die falsche Ebene für eine Frage nach Verkehr. So ist es oft auch mit Faszien. Faszien sind auch ein Gewebe, aber entscheidend ist, dass Faszien auch ein System sind. Dieses System überträgt und ordnet Kräfte, definiert Ihre Körperwahrnehmung und gibt Ihrem Körper Form. Es macht Sie zu der von außen erkennbaren Person: Es gibt Ihnen Ihre Haltung. (Wenn Sie mehr zum Thema Haltung und Rolfing lesen wollen, dann werden Sie hier fündig.)
Unsere Körperwahrnehmung steckt in unserem Fasziensystem
Wir alle finden mit geschlossenen Augen mit unserem Zeigefinger unsere Nasenspitze. Probieren Sie es aus! Vielleicht wundern Sie sich dabei, wie und woher und wie Ihr Körper alles Notwendige weiß. Denn ich nehme an, Sie haben das nicht häufig geübt. Es ist also nicht das Ergebnis von Bewegungs-Training. Sie ahnen es – es ist Fasziensystem oder genauer Ihr Faszien-Nervensystem. Dieses System ist mit seinen reichhaltigen, sensorischen Nervenendungen das größte Sinnesorgan des menschlichen Körpers. Und über dieses System steuern Sie den Bewegungsradius Ihrer Gelenke, die Spannung aller notwendigen Muskeln. Dieses Fasziensystem fungiert wie ein Dirigent in einem Orchester, der alle beteiligten Stimmen (Muskeln und Gelenke) zu einer Melodie (Bewegung) zusammenhält.
Veränderungen in diesem Faszien-Nervensystem können deshalb zu zahlreichen Beschwerden in den unterschiedlichsten Körperregionen führen. Dabei muss die schmerzende Region nicht zwingend mit dem Entstehungsort der Beschwerden übereinstimmen.
Wie Kräfte uns über die Zeit formen

Jeder lebende Organismus reagiert auf Kräfte von außen. Beim Baum ist es die von außen sichtbare Form. Doch auch auf einer viel kleineren Ebene reagiert jeder Organismus auf Kräfte von außen.

So bilden unsere Knochen Lamellen im Inneren, die den Kraftlinine der von außen kommenden Kräfte entsprechen. Unser Körper kann tatsächlich Last messen und Gewebe, in diesem Fall Knochen, dort aufbauen, wo es benötigt wird. Und wenn sich die Kräfte ändern, dann ändert sich auch der innere Aufbau von Knochen. Interessant ist, dass Knochen auch Bindegewebe sind. Ein Unterschied zu Faszien ist, das Änderungen im Aufbau viel leichter sichtbar sind. Doch auch Faszien ändern sich unter Last.
So sammelt unser Fasziensystem im Laufe unseres Lebens prägende Einflüsse ein und verformt sich entsprechend. Deswegen hat Peter Schwind Faszien auch treffend als „Gewebe unseres Lebens“ bezeichnet. Indem sich unser Leben formt, formen wir auch unser Fasziensystem und damit unsere Haltung.
Der gute Teil der Nachricht ist, dass wir in unserem Leben unsere Faszien formen. D.h., wir haben es auch in der Hand durch gewollt positive Einflüsse ungewollten negativen Einwirkungen entgegenzuarbeiten. Dabei sollten wir uns auch darüber im Klaren sein, dass es meist viel leichter und schneller ist, einen Schaden anzurichten als ihn zu beheben. Es ist wie bei einem Blechschaden mit unserem Auto, es genügt ein Schlag, um die Karosserie zu verformen, es bedarf vieler kleiner, gezielter Schläge, um die alte Form wiederherzustellen.
Rolfing – Instandhaltung und Pflege unseres Fasziensystems
Wir alle wollen alte werden, wollen wir dann aber auch irgendwann alt sein? Und was unternehmen wir, um dann auch gut alt zu sein? Mit welcher Klarheit und Genauigkeit stellen wir fest, wie wir uns auf unserem Lebensweg verändert haben? Was wir möglicherweise verloren habe? Was durch verletzungsbedingten Ausgleich hinzugekommen ist?
Gesund altern heißt, sich auf die Veränderungen einzustellen
Wir sind eine Generation, die älter wird als je eine Generation vor uns. Damit wird Altsein, gesund und beweglich Alt zu sein, die Herausforderung für uns. Dafür sollten wir uns bewegen und unser Faszien-Nervensystem immer wieder nachjustieren, damit Bewegung im größtmöglichen Umfang erhalten bleibt. Denn wir wollen uns in unserem Leben frei und lustvoll bewegen, auch im Alter.
Rolfing – Ein konkretes Beispiel

Es gibt viele Möglichkeiten, wie wir unsere Beine beim Gehen verwenden. Und dabei kann es genauso viele Gründe geben, warum wir dies nicht verschleißfrei und effizient tun. Zunächst das Ideal einer Bewegung: wir stoßen uns mit dem Großzehengrundgelenk von hinten in den Schritt ab. Dabei verwindet sich der gesamte Fuß, so dass die Ferse gerade hinter dem Körper bleibt. Dadurch kann dann das Knie ebenfalls gerade und ohne viel Scherkräfte im Gelenk unter dem Körper bleiben und die Hüfte öffnet sich.

Innenschenkel leitet den Schritt
Demgegenüber steht ein Bewegungsmuster, indem wir unsere Reitermuskeln (die Beinmuskeln mit denen wir uns auf einem Pferd festklemmen können) über das Normalmaß hinaus zum Gehen nutzen. Der Fuß bleibt fester, das Sprunggelenk wird etwas mehr zur Seite gebeugt, das Knie zeigt nicht genau in die Schritt-Richtung, sondern leicht nach außen und unsere Hüftstreckung ist geringer. Manchmal ergibt sich der Eindruck von O-Beinen. Fuß-Knie- oder Hüftprobleme können die Folge sein. Die Gründe für solch ein Gehmuster reichen von Sprunggelenksverletzungen, Problemen mit den Zehen, hochtrainierter Bauchmuskulatur bis zur verinnerlichten Jugend-Überzeugung, dass solch ein Gehen cool ist.
Aus Rolfing Sicht muss nun manuell nicht nur der Muskeltonus der Reitermuskeln herabgesetzt werden, sondern auch ein Umtrainieren des „normalen“ Gehmusters erfolgen. Wie fühlt es sich an, wenn nicht die Reitermuskeln immer als erstes feuern, welche Alternativen gibt es? Wie lange verbleibt das rückwärtige Bein beim Gehen hinter der eigenen Körperachse? Die manuelle Arbeit kann eine Differenzierung unterschiedlicher Muskeln erreichen, eine Vergrößerung der Beweglichkeit im Fuß, eine Änderung der Verspannung im Knie. Faszienschichten können als Gleitflächen genutzt werden, so dass nicht unterschiedliche Muskeln als Block agieren. Genauso wichtig ist das Nutzen dieser neuen Freiräume, um so nachhaltig mehr Effizienz und weniger Verschleiß zu erreichen.
Fazit – Altern Fasziensystem
Die Sorge um die Effizienz des eigenen Körpers ist vor allem eine Sorge im Alter. In jungen Jahren können wir noch viel leichter Fehlfunktionen kompensieren. Doch mit der Zeit sammeln sich Verletzungen, Verschleiß und Fehlfunktionen an und unsere Bewegungsspielräume werden kleiner. Die Faszientherapie Rolfing wirkt hier wie eine gute Wartung und Instandsetzung der Maschinerie unseres Körpers. Sie „schmiert“ nicht nur unsere Beweglichkeit, sondern schult neue Gewohnheiten. Wenn Sie zusätzlich ein intelligentes Bewegungssystem wie Yoga oder Qigong verwenden, umso besser. Wie Yoga und Rolfing sinnvoll zusammenkommen, das können Sie hier nachlesen.
Das Leben besteht daraus, sich neue Gewohnheiten zuzulegen.
Mabel Elsworth Todd

Unser Faszien-Nervensystem definiert unsere eigene Körperwahrnehmung. Erfahrungen, Verletzungen und Operationen summieren sich im Alter auf und verändern unsere Körperwahrnehmung. Deswegen ist es im Alter eine Herausforderung, eine positive, gut abgestimmte Körperwahrnehmung zu besitzen. Rolfing kann helfen unser Fasziensystem neu auszugleichen.
Veränderungen im Faszien-Nervensystem können zu zahlreichen Beschwerden in den unterschiedlichsten Körperregionen führen. Dabei muss die schmerzende Region nicht zwingend mit dem Entstehungsort der Beschwerden übereinstimmen.